Wie sich Customer Decision Journeys durch die COVID-19 Krise verändern werden
Derzeit haben die meisten Entscheidungsträger im Bereich Marke, Marketing und Kommunikation den Kopf voll mit Themen, die mit der COVID-19 Krise zusammenhängen. Welche Rolle sollte ich während der Krise übernehmen? Wie sollten wir unseren Marktansatz ändern, um relevant zu bleiben? Auf welche Weise kann ich bei unseren Marketingausgaben Kosten sparen? Viele dieser oder ähnlicher Fragen dürften auch Ihnen gerade durch den Kopf gehen. Es gibt aber auch eine Zeit nach der Krise, über die wir uns Gedanken machen müssen. Meine Neugierde sowie mein beruflicher Anspruch bringen mich dazu, verstehen zu wollen, was und wie das anders sein wird.
Zweifelsohne wird der Ausbruch der Pandemie die zukünftigen Kaufentscheidungsprozesse (Customer Decision Journey) nachhaltig beeinflussen. Schon jetzt verursachen und beschleunigen die aktuellen gesellschaftlichen Restriktionen eine Reihe von Veränderungen in unserem Verhalten – ein Prozess, der sich nicht mehr rückgängig machen lassen wird. Im Folgenden Artikel werde ich Ihnen darstellen, welche Veränderungen sich abzeichnen und welche Auswirkungen diese meiner Meinung nach auf die Kommunikations- und Markenwelt haben dürften. Mein Fokus liegt dabei vor allem auf dem Kaufentscheidungsprozess sowie der Markenbildung.
Ich will die Herkunft meiner Produkte und Lebensmittel wissen
Inzwischen wissen wir, das COVID-19 sein Ursprung auf einem Marktplatz in China hatte. Das hat eine nachhaltige Auswirkung. Denn in Zukunft werden die Menschen verstärkt wissen wollen, woher ihre Produkte stammen. Wir werden es nicht mehr einfach akzeptieren, Lebensmittel zu einem möglichst niedrigen Preis zu essen und dabei nicht einmal zu wissen, woher sie kommen. Wir werden wissen wollen, wo genau unsere Lebensmittel hergestellt wurden und welchen Transportweg sie dabei genommen haben. Das bedeutet, wir werden von den Lieferanten künftig entlang der gesamten Lieferkette mehr Transparenz verlangen.
Bereits jetzt beginnen Unternehmen damit, Dienstleistungen anzubieten, mit denen die gesamte Lieferkette überwacht werden kann. Unser Kunde DNV GL ist mit dem Projekt „My Story“ für den Lebensmittelsektor ein gutes Beispiel. Entsprechend wird eine (zu) weit entfernte Beschaffung zukünftig zunehmend vermieden werden, da sie gegen die Prinzipien der Nachhaltigkeit verstößt.
Im Februar des laufenden Jahres, als ich den Vorsitz bei der Page Konferenz in Abu Dhabi innehatte, war unser Thema „Der Paradigmenwechsel im Bereich der Corporate Citizenship“. Im Fokus standen dabei die ESG Berichterstattung (Environmental, Social and Governance), das Thema Nachhaltigkeit und wie dadurch die Welt verbessert werden kann. Während zu diesem Zeitpunkt COVID-19 bereits in China aufgetreten war, konnten wir noch nicht ahnen, welche extreme Relevanz diese Themen bald auch für uns in Europa haben würden.
"In Zukunft werden die Menschen verstärkt wissen wollen, woher ihre Produkte stammen."
Wir haben zu große Büroräumlichkeiten
Zuletzt sind Unternehmen bei der Einrichtung neuer Büros von 60-70 % des zuvor benötigten Raumbedarfs ausgegangen. Die Krise zeigt uns nun aber auf, dass dieser Prozentsatz noch zu hoch angesetzt war. Jetzt, wo die Menschen zum Homeoffice gezwungen sind, merken sie, dass die Routine des täglichen Büroganges eigentlich gar nicht notwendig ist. Die physische Bürofläche kann also weiter reduziert werden. In der Annahme, dass der neue Bedarf an Arbeitsraum nicht 60-70 %, sondern 40 % des früheren Bedarfs beträgt, bedeutet das nach jetzigem Stand eine potenzielle Reduzierung des benötigten Büroraums um weitere 30-40 %.
Sobald Unternehmen und Eigentümer von Immobilien dies in vollem Umfang erkennen, werden sie auch die derzeitige Überkapazität an Büroflächen und die damit verbundenen Auswirkungen auf den Wert von Immobilien begreifen. Dies wird im Folgenden verstärkt die Aufmerksamkeit auf Homeoffice Branding sowie die virtuelle Vernetzung innerhalb des Unternehmens lenken.
Das Ende von Hyperverbundenheit und JIT (Just-in-time)
Die Welt hat sich schnell daran gewöhnt, dass alles miteinander vernetzt und verbunden ist. Die COVID-19 Krise hat uns allen nun die Kehrseite davon vor Augen geführt. Nicht im digitalen Bereich, sicherlich aber in physischer Hinsicht. Als Folge dessen wird es der Vergangenheit angehören, so viel, so billig und so einfach wie möglich zu reisen und stets die billigsten Produkte aus der Ferne zu verwenden. Durch Just-in-Time wurden in der zurückliegenden Zeit niedrige Lagerbestände, kurze Lieferzeiten und hohe Effizienzen ermöglicht. Zu unser aller Leidwesen haben wir nun jedoch sehr deutlich den Nachteil dieses effizienten Modells erkennen müssen. Die Störung dieses Modells unterbricht den Warenfluss oder bringt ihn vollständig zum Erliegen. Reisen ist also ein weiterer Bereich, in dem wir künftig viel achtsamer sein werden als zuvor. Nicht selten wird man sich gerade im Geschäftsleben die Frage stellen, ob die physische Anwesenheit wirklich erforderlich oder stattdessen ein Video-Call ausreichend ist.
Wir werden mehr von Zuhause aus kaufen
Da wir aktuell gezwungen sind, uns überwiegend Zuhause aufzuhalten, erleben wir in der westlichen Welt bereits eine Dynamisierung des Online-Kaufs. Dieser ist ohnehin schon stetig bequemer (und auch sicherer!) geworden, und so erwarte ich nicht, dass wir nach der Krise wieder vollständig zum Offline-Kauf zurückkehren werden. Stattdessen werden wir mehr Online kaufen und zwar hauptsächlich von zu Hause aus.
Dort warten bereits die Big Four auf uns: Google, Amazon, Apple und Facebook. Sie alle bieten überall inzwischen In-App Kaufmöglichkeiten. Die Big Four sind also diejenigen, die bereits bei uns zu Hause sind und den Online-Kauf erleichtern. Mit Google Assistant, Apple Home und Amazon Alexa bieten sie dafür sprachgesteuerte Interfaces an. In Zukunft werden wir diese noch mehr bei der Bestellung von Produkten und Dienstleistungen nutzen. Durch die Dominanz an der Kontaktstelle zum Nutzer erhalten diese Unternehmen einen massiven Einfluss auf den Kaufprozess innerhalb der Customer Journey. Mehr dazu im nächsten Abschnitt.
"Zu Hause warten bereits die Big Four auf uns: Google, Amazon, Apple und Facebook."
Wie sich die Welt der Kommunikation und der Markenbildung ändern wird
In den letzten Jahren hat der Einfluss von Performance Marketing auf das Konsumentenverhalten und die Kaufentscheidung enorm zugenommen. Mit dem Aufstieg des Online-Kaufs ist dieser Markt schnell reif geworden. Inzwischen gibt es eine Vielzahl von Instrumenten, die dabei helfen, den Kaufprozess stetig zu optimieren. So haben wir es häufig erleben können, dass die Maßnahmen rund um den Kauf – sofern sie richtig gemacht wurden – alles gegenüber dessen dominiert haben, was eine Marke mit Awareness und Consideration hätte erreichen können.
Der Einfluss des Markeninhabers auf die Customer Journey ändert sich radikal
Beim Kauf werden sprachgesteuerte Geräte zu Hause eine immer größere Rolle spielen, ganz besonders im B2C Markt. Als Markeninhaber werden Sie aufgrund der Voice Interfaces Ihren Einfluss auf die eigentliche Kaufphase innerhalb der Customer Journey verlieren – es sei denn, Ihre Marke ist generisch (z.B. Kleenex). Vor zwei Jahren habe ich bereits über dieses Phänomen auf LinkedIn geschrieben.
Als Folge davon werden Markeninhaber Ihre größten Chancen zur Differenzierung in der Phase der Awareness und Consideration haben. Und zwar mehr als je zuvor! Denn Ihre Möglichkeiten zur Einflussnahme in der eigentlichen Kaufphase werden durch die Macht der Big Four und deren Dominanz über die Voice Interfaces deutlich geschmälert sein.
ESG-Themen werden einen höheren Stellenwert für die Konsumenten einnehmen
Während die ESG-Themen früher nur für die Minderheit der Käufer von Interesse waren, schätze ich nun, dass ihre Relevanz nach der COVID-19 Krise für die Mehrheit der Käufer deutlich steigen wird. Wir stehen vor einer Ära, in der ESG- und Nachhaltigkeitsthemen nicht mehr nur ein „Nice-To-Have“ sind, sondern zu einem wichtigen Teil des Geschäftslebens werden. Die Kunden werden künftig wissen wollen, woher Produkte und Dienstleistungen stammen und wie deren Einfluss auf die Umwelt ist. Als Folge dessen werden sie zudem verstärkt wissen wollen, wofür Marken genau stehen und welchen konkreten Beitrag sie für die Gesellschaft leisten.
Großangelegte Werbung, tolle Produkte oder niedrige Preise allein werden nicht mehr ausreichen, um Awareness zu generieren und daraus eine starke Präferenz abzuleiten. Die Käufer werden absolute Transparenz bei ihren gekauften Produkten fordern. Denn sie werden nicht wieder in die Situation kommen wollen, die Lieferkette nicht nachverfolgen zu können oder gar negativ durch die Herkunft ihres Kaufs überrascht zu werden. Besonders vor dem Hintergrund, dass die Menschen mehr denn je Online kaufen werden, rückt die Frage nach der Transparenz der Lieferketten noch stärker in den Fokus. Letzten Endes verleiht (oder verlieh?) ein Offline Kauferlebnis mit einer bekannten Marke dem angeschlossenen Ökosystem von Anbietern und Verkäufern immer mehr Glaubwürdigkeit.
Meine Empfehlung
Wir hoffen alle sehr, dass sich die aktuelle Situation bald wieder verbessern und die gesellschaftlichen Einschränkungen der Vergangenheit angehören werden. Dennoch wird die COVID-19 Krise ihre nachhaltigen Spuren im Konsumentenverhalten hinterlassen. Sobald sich die Situation wieder stabilisiert hat, werden wir uns deshalb auch um die unternehmerischen Herausforderungen kümmern müssen, die hinsichtlich des Themas Marke vor uns liegen.
Meine Empfehlung für Marken ist daher, die Auswirkungen der oben erwähnten Veränderungen genau zu bewerten. Wenn wir mehr über die Herkunft unserer Produkte und Lebensmittel wissen wollen, wenn wir verstehen wollen, welchen Beitrag eine Marke für die Gesellschaft leistet, wenn wir weniger Bürofläche nutzen, wenn wir physische Verbundenheit in Frage stellen und mehr und mehr Online und über Voice Interfaces kaufen… dann werden Markenverantwortliche darüber nachdenken müssen, was das alles für sie bedeutet. Sie können bei der Antwort auf diese Frage davon ausgehen, dass der Einfluss der angesprochenen Veränderungen kein geringer sein wird!
Die Marken, die aus der aktuellen Krise gestärkt und bereit für die Zukunft hervor gehen wollen, werden ihre Positionierung überdenken müssen. Nur so können sie den neuen strategischen Anforderungen und denen der Zielgruppe gerecht werden. Darauf basierend muss die Positionierung durchgängig und über alle Brand Touchpoints und Kanäle hinweg effektiv, effizient und nachhaltig zum Leben erweckt werden – eine äußerst facettenreiche Aufgabe, die mehr Planung und Vorbereitung denn je erfordern wird.
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8 Tipps zur Zukunftssicherung Ihrer Marke
Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Marke in einer sich schnell verändernden Welt weiterhin eine gute Performance erzielt?